Update Mietrecht: Einführung einer gesetzlichen Vermutung zur Störung der Geschäftsgrundlage - McDermott Will & Emery

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Nach dem Beschluss der „Telefonkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder“ vom 13. Dezember 2020 zur Einführung eines bundesweiten „harten“ Lockdowns soll für Gewerbemiet- und -pachtverhältnisse, die von staatlichen COVID-19-Maßnahmen betroffen sind, gesetzlich vermutet werden, dass erhebliche (Nutzungs-)Beschränkungen in Folge der COVID-19-Pandemie eine sogenannte schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage darstellen können.

WEITERE INFORMATIONEN


RECHTLICHE EINORDNUNG UND BEWERTUNG

  • Nach wie vor herrscht Unklarheit darüber, welche Auswirkungen die staatlich angeordneten Beschränkungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie auf die Mietzahlungspflichten von Gewerberaum-Mietern und -Pächtern haben. Die ersten zu dieser Frage ergangenen – erstinstanzlichen und soweit ersichtlich bislang nicht rechtskräftigen – Gerichtsurteile kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen.
  • Mittelpunkt der rechtlichen Diskussion ist dabei vor allem das Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB), nach dem eine Vertragspartei von der anderen eine Vertragsanpassung verlangen kann, wenn sich nach Vertragsschluss grundlegende Umstände unerwartet so schwerwiegend verändern, dass einer Vertragspartei das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Die meisten der bislang veröffentlichten Urteile sahen die Voraussetzungen des als enge Ausnahmevorschrift konzipierten § 313 BGB im Fall der pandemiebedingten Schließungsanordnungen nicht als erfüllt an. Anders beurteilten dies zuletzt das Landgericht Mönchengladbach und das Landgericht München I.
  • Die am 13. Dezember 2020 beschlossene gesetzliche Vermutung einer „schwerwiegenden Veränderung der Geschäftsgrundlage“ könnte gewerblichen Mietern den Weg zu einer COVID-19-bedingten Mietvertragsanpassung ebnen. Dem Beschluss kommt ohne Verabschiedung durch den Bundestag nach Durchlaufen des Gesetzgebungsverfahrens allerdings noch keine bindende rechtliche Wirkung zu.
  • In rechtlicher Hinsicht lässt der gestrige Beschluss verschiedene Fragen offen:
    • Aus der allgemein gehaltenen Formulierung der „erhebliche[n] (Nutzungs-)Beschränkungen“ könnte folgen, dass die Novelle nicht nur zukünftige Komplettschließungen von Geschäften und Hotels, sondern auch sonstige Beschränkungen (z. B. der zulässigen Kundenzahl) erfasst. Hier bleibt abzuwarten, ob und wie die maßgeblichen Beschränkungen im Rahmen des anstehenden Gesetzgebungsverfahrens weiter konkretisiert werden.
    • Das Ausmaß der aufgestellten gesetzlichen Vermutung ist nach dem Wortlaut des Beschlusses unklar: Einerseits könnte die gesetzliche Vermutung (nur) für das Vorliegen einer schwerwiegenden Veränderung der tatsächlichen Umstände gelten, d. h. der Mieter hätte weiterhin darzulegen, dass ihm ein Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Andererseits könnte die gesetzliche Vermutung auch das Element der Unzumutbarkeit mitumfassen, was die Argumentationslast des Vermieters weiter erhöhen würde. Der zweite Satz der maßgeblichen Nr. 15 des Beschlusses, nach der damit „Verhandlungen zwischen Gewerbemietern bzw. Pächtern und Eigentümern vereinfacht“ werden, lässt unter Umständen darauf schließen, dass dem Mieter die Erleichterung der Beweisführung für beide Elemente zugute kommen soll. Dem Vermieter bliebe in beiden Konstellationen nur, die aufgestellte Vermutung durch Beweis des Gegenteils – ggf. gerichtlich – zu widerlegen. Denn klar ist auch: Die Folgen der behördlichen (Schließungs-)Anordnungen betreffen zumindest mittelbar auch den Vermieter. Der Vermieter hat regelmäßig unabhängig von der tatsächlichen Nutzung durch den Mieter fortlaufende Finanzierungs- und Erhaltungskosten zu erbringen und ist auch für weitere Fixkosten auf die Einnahmen aus Vermietung angewiesen.
    • Des Weiteren bleibt bislang offen, auf welchen Zeitraum sich die Wirkungen des geplanten Gesetzes beziehen sollen. Aufgrund der hohen Hürden des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots dürfen Gesetze nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich nicht rückwirkend in abgeschlossene Sachverhalte eingreifen. Eine Erstreckung der Wirkungen des Gesetzes auf die zahlreichen bereits anhängigen Verfahren betreffend den „ersten“ Lockdown ist daher unwahrscheinlich. Nichtsdestotrotz besteht die Möglichkeit, dass viele Gerichte sich aufgrund der lediglich als „Klarstellung“ empfundenen Gesetzesänderung auch bezüglich bereits anhängiger Verfahren an der neuen Vorgabe zur Auslegung des § 313 BGB orientieren werden.
  • Die geplante Gesetzesänderung beabsichtigt offensichtlich, in den nun wohl erneut anstehenden Verhandlungen über Mieterlasse, Mietstundungen etc. die Waagschale zugunsten der Gewerberaum-Mieter zu senken. Zum jetzigen Zeitpunkt erlauben die maßgeblichen Ausführungen des Beschlusses aber noch keine abschließende Einschätzung. Insoweit wird es maßgeblich auf die Ausgestaltung des betreffenden Gesetzesentwurfes ankommen.

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