Ausgangslage
In Freiwilligenprogrammen werden Mitarbeitenden, die einen Aufhebungsvertrag abschließen oder nicht gegen eine Kündigung klagen, Zusatzleistungen (Entscheidungs-/Sprinter-/Turboprämien) zugesagt. Den Weg hierfür ebnete die von Hogan Lovells erstrittene Grundsatzentscheidung des BAG vom 31. Mai 2005 (Az. 1 AZR 254/04). Zwar wurde daran festgehalten, dass Sozialplanabfindungen nicht von einem Kündigungsverzicht abhängig gemacht werden dürfen. Es wurden aber Zusatzleistungen unter folgenden Voraussetzungen erlaubt:
- Abschluss einer separaten freiwilligen Betriebsvereinbarung (§ 88 BetrVG)
- Angemessene Abmilderung der wirtschaftlichen Nachteile bereits durch den Sozialplan
- Kein funktionswidriger Entzug von Sozialplanmittel für das Bereinigungsinteresse des Arbeitgebers
- Beachtung des betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes
In der Praxis werden Freiwilligenprogramme häufig zeitgleich mit dem Sozialplan verhandelt und als Gesamtpaket abgeschlossen. Schwierigkeiten bereitete vor allem die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Umgehung des Verbots eines Klageverzichts für Sozialplanleistungen vorliegt, weil „an sich“ für den Sozialplan zur Verfügung stehende Finanzmittel funktionswidrig zu Gunsten des Freiwilligenprogrammes verwendet werden.
Entschiedener Fall
In der nun veröffentlichten Entscheidung sah der Sozialplan eine gestaffelte Abfindung nach der allgemeinen Formel „Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatseinkommen x Faktor“ vor. Der Faktor variierte je nach Lebensalter zwischen 0,15 und 0,95. Für die Sozialplanabfindung war ein absoluter Höchstbetrag von EUR 75.000 vorgesehen. Im Freiwilligenprogramm war eine Erhöhung des Faktors für die Berechnung der Abfindung um 0,25 vorgesehen, wenn keine Kündigungsschutzklage erhoben wurde. Aus Sicht des Arbeitgebers sollte die Gesamtabfindung aus Sozialplan und Freiwilligenprogramm auf den absoluten Höchstbetrag von EUR 75.000 begrenzt sein. Es war unstreitig, dass insgesamt ein Finanzvolumen von EUR 8 Mio. zur Verfügung stand. Während der Verhandlungen wurde stets durch Excel-Berechnungen sichergestellt, dass das Gesamtbudget nicht überschritten wird.
Geklagt hatte ein gekündigter Mitarbeiter, der nicht gegen seine Kündigung gerichtlich vorgegangen ist. An sich wäre daher für ihn der Faktor von 0,95 auf 1,2 zu erhöhen gewesen. Im Ergebnis erhielt er jedoch keine zusätzliche Prämie aus dem Freiwilligenprogramm, weil die Sozialplanabfindung bereits den Höchstbetrag überstieg und damit alle Leistungen auf insgesamt EUR 75.000 begrenzt wurden. Der Mitarbeiter verlangte eine zusätzliche Abfindung, die sich bei Anwendung der Formel „Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatseinkommen x 0,25“ ergeben hätte.
LAG Nürnberg: Unzulässiger Entzug von Sozialplanmitteln
Das LAG Nürnberg erklärte das Freiwilligenprogramm für unwirksam. Es nahm eine unzulässige Umgehung des Verbots eines Klageverzichts für Sozialplanleistungen an. „An sich“ für den Sozialplan zur Verfügung stehende Finanzmittel seien funktionswidrig zu Gunsten des Freiwilligenprogramms verwendet worden. Dafür spräche neben dem unstreitigen Gesamtfinanzvolumen für Sozialplan und Freiwilligenprogramm die begleitende Absicherung durch Excel-Berechnungen. Auch entkräftende Indizien wie ein angemessenen Verhältnis von Klageverzichtsprämie und Sozialplanabfindung lägen nicht vor. So führte die pauschale Erhöhung des Faktors teilweise zu einer Erhöhung der Abfindung um mehr als 50 Prozent. Das Gericht nahm an, dass eine einheitliche Abfindung gewollt gewesen sei. Es schlug die Erhöhung des Abfindungsfaktors um 0,25 dem Sozialplan zu. Das hatte für den Kläger allerdings zur Folge, dass die hierdurch erhöhte Sozialplabfindung auf den absoluten Höchstbetrag von EUR 75.000 beschränkt wurde und er leer ausging.
BAG: Neue Vorgaben für Freiwilligenprogramme
Anders als die Berufungsinstanz hielt das BAG das Freiwilligenprogramm für wirksam. Es gab seine Rechtsprechung auf, wonach es bisher eine Verletzung des Umgehungsverbots angenommen hatte, wenn „an sich“ für den Sozialplan zur Verfügung stehende Finanzmittel funktionswidrig für ein Freiwilligenprogramm eingesetzt werden. Zur Begründung verweisen die Bundesrichter auf den weiten Gestaltungsspielraum der Betriebsparteien im Hinblick auf den Ausgleich und die Milderung wirtschaftlicher Nachteile durch eine Betriebsänderung. Mit diesem sei die Annahme unvereinbar, dass Finanzvolumina „an sich“ zugewiesen wären und „funktionswidrig“ verwendet werden könnten.
Es wird aber daran festgehalten, dass der Sozialplan seine Funktion erfüllen muss, die wirtschaftlichen Nachteile der von der Betriebsänderung betroffenen Mitarbeitenden auszugleichen oder zu mildern. Diese Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion würde verfehlt, wenn keine hinreichend angemessene Abmilderung der wirtschaftlichen Nachteile vorgesehen ist. Hierüber hätte man sicherlich diskutieren können, weil der Faktor zwischen 0,15 bis 0,95 gestaffelt war und das Freiwilligenprogramm eine Aufstockung um 0,25 Punkte vorsah. Das BAG äußerte insoweit aber keine Bedenken.
Allerdings gingen die Richter davon aus, dass die Klageverzichtsprämie nicht durch einen Höchstbetrag gedeckelt wird. Die Betriebsvereinbarung zum Freiwilligenprogramm regelte das schon nicht klar. Selbst wenn die Regelung dahin hätte ausgelegt werden können, hätte die Kappungsgrenze des Sozialplans die Klageverzichtsprämie nach dem Freiwilligenprogramm nicht erfassen dürfen. Sowohl bei einer niedrigen als auch einer über der Kappungsgrenze liegenden Abfindung erlange der Arbeitgeber durch den Klageverzicht dieselbe Planungssicherheit. Dieser einheitliche Zweck rechtfertigte es nicht, dass nur Mitarbeitende wirtschaftlich von einem Klageverzicht profitieren, die nicht von der Kappungsgrenze des Sozialplans betroffen sind.
Praktische Bedeutung
Freiwilligenprogramme sind weit verbreitet und haben sich zur Vermeidung von Kündigungen und Kündigungsschutzverfahren bewährt. Das BAG hat erfreulicherweise die übliche Verhandlungspraxis bestätigt und durch Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung für zulässig erklärt, dass Sozialplan und Freiwilligenprogramm zeitgleich auf Basis eines Gesamtbudgets verhandelt werden können. Das bedeutet aber nicht, dass die Betriebsparteien zukünftig völlige Gestaltungsfreiheit haben. Die Sozialplanabfindung muss zu einer hinreichend angemessenen Milderung der wirtschaftlichen Nachteile infolge des Arbeitsplatzverlustes führen. Der größere Teil des Budgets sollte daher dem Sozialplan vorbehalten bleiben. Wo insoweit genau die Grenze zu ziehen ist, wurde noch nicht entschieden. Zudem muss darauf geachtet werden, dass Sozialplanabfindung und Klageverzichtsprämie nicht auf einen einheitlichen Höchstbetrag gedeckelt werden. Sonst ist nicht sichergestellt, dass alle Mitarbeitenden, die die Voraussetzungen erfüllen, eine Prämie „on top“ bekommen, was nach der Rechtsprechung Voraussetzung eines solchen Modells ist.