ARBEITSUNFÄHIGKEITS-BESCHEINIGUNGEN

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Telefonische Krankschreibung und Videosprechstunde

Durch Entscheidung des gemeinsamen Bundesausschusses gilt seit dem 4. August 2020 erneut, dass sich Arbeitnehmer:innen bis zu sieben Tage telefonisch krankschreiben lassen können. Die Regelung gilt befristete bis zu 30. November 2022 und nur bei Atemwegserkrankungen. Doch welche Bedeutung kommt einer Krankschreibung zu? Welches Verfahren ist zu beachten? Was gilt sonst bei Krankschreibungen mittels Videosprechstunden?

1. ANSCHEINSBEWEIS

Einer ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt als vom Gesetzgeber vorgesehener Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ein hoher Beweiswert zu. Sie begründet zwar nicht eine gesetzliche Vermutung mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre. Ihr kommt jedoch die Wirkung einer tatsächlichen Vermutung als Anscheinsbeweis zu. Unternehmen müssen daher den Anscheinsbeweis der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern, wenn sie Entgeltfortzahlung verweigern möchten oder die Arbeitsunfähigkeit aus anderen Gründen in Abrede stellen möchten. Hierzu müssen Tatsachen vorgetragen werden, die ernsthafte Zweifel an der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ergeben (bspw. durch vorherige Ankündigung der Arbeitsunfähigkeit; wiederholter zeitlicher Zusammenhang mit Feiertagen und/oder Urlaub).

Sofern Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen – wie in Deutschland gesetzlich vorausgesetzt – zwischen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit unterscheiden, kommt auch im Ausland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen grundsätzlich derselbe Beweiswert zu.

2. VERFAHREN ZUR FESTSTELLUNG DER ARBEITSUNFÄHIGKEIT 

Nach § 4 der geltenden Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 7 SGB V (AU-RL) hat die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ausschließlich aufgrund einer unmittelbar persönlichen oder mittelbar persönlichen ärztlichen Untersuchung im Wege einer Videosprechstunde zu erfolgen. Letzteres ist dabei nur zulässig, wenn die Erkrankung dies nicht sowieso ausschließt. Bei erstmaliger Feststellung soll im Falle der Videosprechstunde der Zeitraum der Bescheinigung drei Tage zudem nur überschreiten dürfen, wenn die Person, über deren Arbeitsunfähigkeit beschieden wird, ärztlich bereits aus vorherigen Kontakten persönlich bekannt ist. Eine Folgebescheinigung im Wege der Videosprechstunde scheidet bei fehlender vorausgegangener unmittelbar persönlicher Untersuchung und bereits entsprechender Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit aufgrund derselben Krankheit sogar insgesamt aus.

Werden diese Anforderungen missachtet, ist davon auszugehen, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht den Anforderungen des § 5 EFZG genügt und Unternehmen diese damit als nicht ausreichend zurückweisen können. Auch ein Anscheinsbeweis kann einer solchen Bescheinigung daher nicht zukommen.

Eine Ausnahme hiervon gilt nun allerdings weiterhin aufgrund der Coronapandemie: Gem. § 8 Abs. 1 S. 2 AU-RL darf die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bei Erkrankungen der oberen Atemwege, die keine schwere Symptomatik vorweisen, für einen Zeitraum von bis zu sieben Kalendertagen auch nach telefonischer Anamnese und zwar im Wege der persönlichen ärztlichen Überzeugung vom Zustand begutachteten Person durch eingehende telefonische Befragung erfolgen. Auch das Fortdauern der Arbeitsunfähigkeit kann im Wege der telefonischen Anamnese einmalig für einen weiteren Zeitraum von bis zu sieben Kalendertagen festgestellt werden.

3. FORMELLE ANFORDERUNGEN AN ARBEITSUNFÄHIGKEITSBESCHEINIGUNGEN 

Weiterhin ist nicht geklärt, ob die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 EFZG der Schriftform gemäß § 126 BGB (Originalunterschrift auf Papier) bedarf. Die überwiegende Auffassung geht jedoch davon aus. Eine nur eingescannte Unterschrift genügt daher als Nachweis für eine Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich nicht aus. Auch digital ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen entsprechen daher nicht den gesetzlichen Anforderungen. Entsprechende Angebote, die im Internet kursieren, können im Zweifel bereits aus formalen Gründen keinen Anscheinsbeweis für eine Arbeitsunfähigkeit erbringen.

Allein aus Praktikabilitätsgründen werden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen somit inzwischen überwiegend nicht mehr per Post im Original versandt, sondern als Scan oder Foto übermittelt. Auch Unternehmen ist diese Art der ressourcenschonenden Vorgehensweise genehm und wird daher weitgehend akzeptiert. Unternehmen können aber selbstverständlich auf Vorlage des Originals bestehen.

4. KÜNFTIG: DIGITALE ARBEITSUNFÄHIGKEITSBESCHEINIGUNG 

Der in weiten Teilen bereits gelebten Praxis scheint auf den ersten Blick ab 2023 nun auch die Rechtslage zu folgen. Tatsächlich bleiben Ärzte aber auch ab dem 1. Januar 2023 zur Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (in Papierform) verpflichtet. Der wesentliche Unterschied zur heutigen Rechtslage wird lediglich darin liegen, dass Unternehmen die „Daten“ zur Arbeitsunfähigkeit direkt digital bei der Krankenkasse abfragen können. Ausweislich der Gesetzesbegründung verbleibt aber der analoge „gelbe AU-Schein“ (mit Original-Unterschrift) als vorsorgliches Beweismittel für Arbeitnehmer:innen erhalten.

Dennoch entfällt aber zukünftig die grundsätzliche Pflicht von Arbeitnehmer:innen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Es ist also zu erwarten, dass deutlich weniger Probleme bei der rein praktischen Abwicklung zwischen Arbeitnehmer:innen und Unternehmen auftreten dürften.

Ob und in welchen Einzelfällen – neben Störungen der digitalen Abrufmöglichkeit – die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch relevant werden wird, ist noch nicht abschließend geklärt.

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