Der EuGH hat bereits Ende März 2020 entschieden, dass ein Kaskadenverweis nicht den Anforderungen der Verbraucherkreditrichtlinie genügt. Das wirft die Frage auf, welche Auswirkungen das auf Leasingverträge haben wird. Handelt es sich insoweit, wie von verschiedenen Seiten dargestellt, tatsächlich um die Rückkehr des Widerrufsjokers?
Hintergrund
Die Musterwiderrufsbelehrung für allgemeine Verbraucherdarlehensverträge und grundpfandrechtlich besicherte Verbraucherdarlehensverträge sah bis 2016 folgenden Kaskadenverweis vor:
„Der Darlehnsnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen […] widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehnsnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angaben zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.“
Diese Formulierung ist nach wie vor in der Musterwiderrufsbelehrung für allgemeine Verbraucherdarlehensverträge enthalten und gilt gemäß Art. 247 § 12 Abs. 1 S. 1 EGBGB auch für entgeltliche Finanzierungshilfen, mithin also grds. auch für Leasingverträge. In der Musterwiderrufsbelehrung für Verbraucherimmobiliardarlehensverträge ist sie seit 2016 nicht mehr enthalten.
Kollision von EUGH und BGH
Der BGH hatte in der Vergangenheit verschiedentlich betont, dass er einen solchen Kaskadenverweis für ausreichend erachte (vgl. etwa BGH, Urteil vom 22. November 2016, Az. XI ZR 434/15; BGH, Beschluss vom 19. März 2019, Az. XI ZR 44/18).
Der EuGH entschied nun mit Urteil vom 26. März 2020 (Az. C-66/19), dass die oben genannte Formulierung nicht den Anforderungen des Art. 10 Abs. 2 lit. p in Verbindung mit Art. 14 der Verbraucherkreditrichtlinie genüge. Denn die Frist für die Ausübung des Widerrufsrechts sei für den Verbraucher in diesem Fall nicht – wie allerdings von Art. 10 Abs. 2 lit. p gefordert – in „klarer, prägnanter Form“ erkennbar. Dem vom EuGH beschiedenen Sachverhalt lag ein grundpfandrechtlich besicherter Verbraucherdarlehensvertrag zugrunde.
Nur wenige Tage nach dem EuGH-Urteil entschied der BGH mit Beschluss vom 31. März 2020 (Az. XI ZR 581/18) hinsichtlich eines Verbraucherimmobiliardarlehens, dass der Darlehensnehmer aus der Entscheidung des EuGH keine Rechte herleiten könne. Der EuGH sei nicht zuständig. Denn die Verbraucherkreditrichtlinie finde nach deren Art. 2 Abs. 2 lit. a und c auf grundpfandrechtlich besicherte Darlehen keine Anwendung. Die Schutzmechanismen stammten zudem nicht originär aus einer Umsetzung der Richtlinie sondern stellten genuin deutsches Recht dar. Dann aber seien für deren Auslegung einzig die nationalen Gerichte zuständig.
In einem weiteren Beschluss vom 31. März 2020 (Az. XI ZR 198/19), der einen darlehensfinanzierten Fahrzeugerwerb betraf, berief sich der BGH zudem auf die Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung: Indem der nationale Gesetzgeber die Musterwiderrufsinformation in Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB mit Gesetzeskraft ausgestattet habe, habe er auch den Kaskadenverweis ausdrücklich erlaubt. Aufgrund des Rechtsstaatsprinzips in Art. 20 Abs. 3 GG seien die nationalen Gerichte an diese gesetzgeberische Entscheidung gebunden. Zudem dürfe auch nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH, die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen. Die Zuständigkeit des EuGH monierte der BGH in diesem Falle nicht.
Inhaltliche Beurteilung
Was bedeutet das nun konkret? Zunächst einmal bleibt festzuhalten, dass die Entscheidung des EuGH die unterinstanzlichen Gerichte nicht bindet. Zwar besteht für diese auch keine strenge Bindungswirkung durch Entscheidungen des BGH, doch droht im Falle einer Außerachtlassung entgegenstehender BGH-Rechtsprechung die Aufhebung des eigenen Urteils. Aus diesem Grunde ist davon auszugehen, dass die unterinstanzlichen Gerichte der Marschroute des BGH folgen werden, also eine entsprechende Belehrung – sofern sie den Formulierungen der Musterwiderrufsbelehrung gefolgt ist – nicht beanstanden werden.
Bei Leasingverträgen mit Kilometerabrechnung kommt zugunsten der Leasinggeber außerdem hinzu, dass zahlreiche Gerichte in jüngerer Zeit das Erfordernis einer Widerrufsbelehrung ohnehin ablehnen, weil es sich bei Leasingverträgen mit Kilometerabrechnung ohne Erwerbspflicht des Leasingnehmers (und ohne Restwertgarantie) nicht um entgeltliche Finanzierungshilfen im Sinne von § 506 Abs. 2 BGB handele und die Regelung auch nicht analog anwendbar sei (OLG Stuttgart, Urteil vom 29. Oktober 2019, Az. 6 U 338/18; OLG München, Beschluss vom 30. März 2020, Az. 32 U 5462/19; LG Offenburg, Urteil vom 7. Juni 2019, Az. 3 O 426/18; LG Heilbronn, Urteil vom 15. Oktober 2018, Az. Bi 6 O 246/18). Folgen die Gerichte dem BGH in Bezug auf den Kaskadenverweis daher nicht, lässt sich weiter vertreten, dass die Widerrufsbelehrung schon nicht erforderlich war.
Ausblick
Das teilweise recht aggressive Marketing verschiedener Verbraucherschutzkanzleien in Verbindung mit möglichen drohenden wirtschaftlichen Schieflagen bei Verbrauchern dürfte zu einem erhöhten Prozessaufkommen bei Leasinggebern führen. Auf dieses sollten Leasinggeber sich bereits jetzt vorbereiten: Hierzu gehört insbesondere eine Prüfung, welche Leasingverträge die oben genannte Klausel enthalten und, wenn ja, ob die Klausel durch den Leasinggeber modifiziert wurde. Denn inhaltliche Änderungen und Modifizierungen führen zum Verlust der Gesetzlichkeitsfiktion. Hierauf aufbauend sollten Leasinggeber sodann ihre Verteidigungsstrategie vorbereiten. Überzeugende Argumentationslinien existieren reichlich.
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