LAG Düsseldorf: Nachteilsausgleich im Gemeinschaftsbetrieb

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Für die Beurteilung des Schwellenwerts gem. § 111 BetrVG ist auch nach Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes bei einem Gemeinschaftsbetrieb auf die Gesamtzahl der im Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer abzustellen. Wird eine Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG durchgeführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, haften alle Unternehmen des Gemeinschaftsbetriebs gemeinsam für einen Nachteilsausgleichsanspruch gem. § 113 Abs. 3 BetrVG. Über diese bisher vom BAG offen gelassenen Fragen hat das LAG Düsseldorf mit Urteil vom 19. August 2014 (Az.: 17 Sa 67/14) entschieden.

Die Klägerin war bei der Beklagten zu 1) seit 1984 als technische Angestellte beschäftigt. Die Beklagte gehörte neben fünf weiterer Gesellschaften zu einer Unternehmensgruppe und verfügten über einen gemeinsamen Internetauftritt. Darüber hinaus wurden die Personalakten aller Beschäftigten an einer zentralen Stelle von einem kaufmännischen Leiter geführt. An dieser Stelle wurde auch die Buchhaltung für alle Gesellschaften der Unternehmensgruppe gemeinsam geführt. Für die Arbeitnehmer der Unternehmensgruppe zuständig war ein gemeinsam gewählter Betriebsrat. Auf der Geschäftsführerebene aller Gesellschaften herrschte Personenidentität. Im August 2011 wurde die Schließung des von der Beklagten zu 2) betriebenen Baubetriebs beschlossen. Darauf folgend wurde im Juli 2012 die Betriebsschließung der Beklagten zu 1) sowie im November 2012 die Liquidation der Beklagten zu 3) beschlossen. Anlässlich der Betriebsschließung kündigte die Beklagte zu 1) das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis. Mit der zunächst eingereichten Klage wehrte sich die Klägerin gegen die Kündigung, stellte ihre Klage jedoch im Januar 2013 auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs um und erweiterte den Kreis der Beklagten um die anderen Gesellschaften der Unternehmensgruppe. Die Klägerin war der Ansicht, dass alle Gesellschaften einen Gemeinschaftsbetrieb gebildet hätten.

In erster Instanz teilte das Arbeitsgericht Solingen (Az.: 3 Ca 1241/12) die Rechtsauffassung der Klägerin und gab der Klage statt.

Mit Urteil vom 19. August 2014 (Az.: 17 Sa 67/14) hat das LAG Düsseldorf die erstinstazliche Entscheidung bestätigt. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs aus § 113 Abs. 1 BetrVG. Dem LAG Düsseldorf zufolge hätten die Beklagten eine Betriebsänderung durchgeführt, ohne mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich im Sinne von § 113 BetrVG versucht zu haben. Infolge dieser Betriebsänderung sei die Klägerin entlassen worden. Das LAG Düsseldorf vertritt die Ansicht, die Beklagten hätten einen Gemeinschaftsbetrieb geführt. Zu diesem Schluss kommt das Gericht durch Würdigung der Gesamtumstände. Entscheidend sei gewesen, dass alle Beklagten ihren Sitz auf dem selben Betriebsgelände gehabt hätten. Außerdem habe auf der Geschäftsführungsebene Personenidentität bestanden. Ein weiteres Indiz für einen Gemeinschaftsbetrieb bilde dem Gericht zufolge die gemeinsame Buchführung sowie die einheitliche Führung der Personalakten an einer Sammelstelle. Zuletzt sei von entscheidender Bedeutung, dass die Arbeitnehmer aller Gesellschaften einen gemeinsamen Betriebsrat gewählt hätten. Abgerundet werde dieses Bild durch den gemeinsamen Internetauftritt der Unternehmensgruppe sowie die Entgegennahme von Initiativbewerbungen an einer einheitlichen Sammelstelle. Im Ergebnis sei im Rahmen der Schwellenwertberechnung nach § 111 BetrVG deshalb auf die Gesamtzahl der im Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer abzustellen. Die Gesamtzahl habe im zu entscheidenden Fall den Schwellenwert des § 111 BetrVG i.V.m. § 17 Abs. 1 Nr. 2 KSchG überschritten. Darüber hinaus liege eine Betriebsänderung vor. Aus diesem Grund hätten die Beklagten versuchen müssen, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich im Sinne von § 113 BetrVG zu schließen. Als Rechtsfolge dieses unterlassenen Versuchs bejahte das LAG Düsseldorf einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs, der mit Ausspruch der Kündigung fällig werde.

Es bleibt weiterhin abzuwarten, ob das BAG in diesem Fall als Revisionsinstanz die Möglichkeit erhält, selbst die bislang immer offen gelassenen Fragen zum Nachteilsausgleich im Gemeinschaftsbetrieb zu beantworten (offengelassen BAG Urteil v. 12.11.2002 – 1 AZR 632/01 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 155; BAG Urteil v. 29.09.04 – 1 ABR 39/03 -, AP BetrVG 1972 § 99 Nr. 40, analoge Anwendung des § 99 BetrVG bei Versetzungen sowie BAG Urteil v. 14.12.2004 – 1 AZR 504/03 – AP § 611 BGB Nr. 32 zu Haftung des Arbeitgebers).

 

 

 

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