Update Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht: Die Virtuelle Hauptversammlung 2.0

Morrison & Foerster LLP

Die Möglichkeit, Hauptversammlungen unter Ausschluss der Anwesenheit der Aktionäre rein virtuell abzuhalten, war erstmals aufgrund der Covid-19-Pandemie vom Gesetzgeber eröffnet worden. Die ursprüngliche Regelung vom 27. März 2020 war jedoch befristet und ist Ende August 2022 ausgelaufen.

Durch das am 27. Juli 2022 in Kraft getretene Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften (BGBl. 2022 I 1166) wurde die virtuelle Hauptversammlung nun dauerhaft im Aktiengesetz verankert. Das neue Regelungsregime weicht teils deutlich von bisher bestehenden Regelungen ab, da Aktionäre in der virtuellen Hauptversammlung („vHV“) die gleichen Rechte haben sollen, wie in einer Präsenzhauptversammlung („Präsenz-HV“). Die Präsenz-HV wird sozusagen virtualisiert.

Die folgende Darstellung gibt einen Überblick über die rechtlichen Anforderungen und Gestaltungsoptionen, ergänzt um konkrete Handlungsempfehlungen für die Praxis.

I. MINDESTANFORDERUNGEN UND GESTALTUNGSOPTIONEN

§ 118a AktG ist die zentrale neue Vorschrift für die virtuelle Hauptversammlung. Sie legt die (Mindest-)Anforderungen für die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung fest.

㤠118a Virtuelle Hauptversammlung

(1) Die Satzung kann vorsehen oder den Vorstand dazu ermächtigen, vorzusehen, dass die Versammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten am Ort der Hauptversammlung abgehalten wird (virtuelle Hauptversammlung). Wird eine virtuelle Hauptversammlung abgehalten, sind die folgenden Voraussetzungen einzuhalten:

  1. die gesamte Versammlung wird mit Bild und Ton übertragen,
  2. die Stimmrechtsausübung der Aktionäre ist im Wege elektronischer Kommunikation, namentlich über elektronische Teilnahme oder elektronische Briefwahl, sowie über Vollmachtserteilung möglich,
  3. den elektronisch zu der Versammlung zugeschalteten Aktionären wird das Recht eingeräumt, Anträge und Wahlvorschläge im Wege der Videokommunikation in der Versammlung zu stellen,
  4. den Aktionären wird ein Auskunftsrecht nach § 131 im Wege elektronischer Kommunikation eingeräumt,
  5. den Aktionären wird, sofern der Vorstand von der Möglichkeit des § 131 Absatz 1a Satz 1 Gebrauch macht, der Bericht des Vorstands oder dessen wesentlicher Inhalt bis spätestens sieben Tage vor der Versammlung zugänglich gemacht,
  6. den Aktionären wird das Recht eingeräumt, Stellungnahmen nach § 130a Absatz 1 bis 4 im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen,
  7. den elektronisch zu der Versammlung zugeschalteten Aktionären wird ein Rederecht in der Versammlung im Wege der Videokommunikation nach § 130a Absatz 5 und 6 eingeräumt,
  8. den elektronisch zu der Versammlung zugeschalteten Aktionären wird ein Recht zum Widerspruch gegen einen Beschluss der Hauptversammlung im Wege elektronischer Kommunikation eingeräumt.“

1. NOTWENDIGE SATZUNGSBESTIMMUNG

Für die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung bedarf es einer entsprechenden Satzungsbestimmung, welche die virtuelle Hauptversammlung entweder grundsätzlich als Regelfall vorsieht oder den Vorstand ermächtigt, die Hauptversammlung in virtueller Form abzuhalten (§ 118a Abs. 1 S. 1 AktG).

Die entsprechende Satzungsbestimmung bzw. -ermächtigung muss befristet sein und darf eine Höchstlaufzeit von fünf Jahren nicht überschreiten. Für die Bestimmung des Zeitraums kann entweder ein konkretes Enddatum oder die Berechnungsmethode des Fristenlaufs angegeben werden. Bei einem Fristbeginn mit Eintragung der Satzungsänderung wäre mit einem Fristende bei „fünf Jahren ab Eintragung“ die Höchstlaufzeit optimal ausgenutzt. Nicht nur die Einberufung, sondern auch die Durchführung der virtuellen Hauptversammlung muss innerhalb dieser Höchstlaufzeit erfolgen. Die Ermächtigung kann dann vor Ablauf erneuert werden.

Die Satzungsbestimmung darf nur das „Ob“ der virtuellen Hauptversammlung regeln und kann keine Vorgaben über das „Wie“ der konkreten Ausgestaltung machen.

Praxishinweis

  • Eine Ermächtigung des Vorstands erscheint gegenüber der starren Festlegung des Formats als flexiblere und daher vorzugswürdige Variante. Selbst wenn das Abhalten der Hauptversammlung in virtueller Form für bestimmte Gesellschaften gegenwärtig nicht erforderlich oder praktikabel erscheint, kann eine entsprechende Satzungsermächtigung für unvorhergesehene Umstände hilfreich sein.
  • Stimmrechtsberater und Aktionärsvereinigungen lehnen das Ausschöpfen der maximalen Höchstlaufzeit von fünf Jahren teilweise ab und fordern lediglich zwei Jahre. Im Rahmen der Hauptversammlungsvorbereitungen sollte daher vorab sondiert werden, welche Ermächtigungsausgestaltung mehrheitsfähig ist.
  • Ein Beispiel für eine Satzungsermächtigung könnte wie folgt lauten:

    „Der Vorstand ist ermächtigt vorzusehen, dass die Hauptversammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten am Ort der Hauptversammlung abgehalten wird (virtuelle Hauptversammlung). Die Ermächtigung gilt für die Abhaltung virtueller Hauptversammlungen in einem Zeitraum von [fünf] Jahren nach Eintragung dieser Satzungsbestimmung in das Handelsregister der Gesellschaft.“

In der laufenden HV-Saison greift für Hauptversammlungen, die bis einschließlich 31. August 2023 einberufen werden, eine Übergangsregelung. Bis dahin kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats auch ohne entsprechende Satzungsbestimmung entscheiden, die Hauptversammlung virtuell durchzuführen (§ 26n Abs. 1 EGAktG).

2. BILD- UND TONÜBERTRAGUNG

Eine vHV erfordert die Übertragung der gesamten Veranstaltung in Bild und Ton (§ 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AktG). Dies kann über ein speziell eingerichtetes zugangsbeschränktes Online-Aktionärsportal, einen Livestream oder auch durch die Verwendung der üblichen Videokonferenzdienste (z. B. Zoom) erfolgen. Letzteres wird sich wohl nur bei einem sehr überschaubaren Aktionärskreis anbieten. Bei der Übertragung müssen die zwingend am Ort der Versammlung anwesenden Personen zu sehen sein.

Zu den zwingend anwesenden Personen zählen der Versammlungsleiter, die Gremienmitglieder, der Notar (sofern eine notariell beurkundete Niederschrift über die Hauptversammlung anzufertigen ist) sowie der Abschlussprüfer (sofern die Hauptversammlung ausnahmsweise den Jahres- und/oder Konzernabschluss feststellen soll). Ein von der Gesellschaft benannter Stimmrechtsvertreter kann, muss aber nicht, physisch an der Versammlung teilnehmen.

Praxishinweis

  • Nach dem Gesetzeswortlaut „sollen“ die Mitglieder des Vorstands am Versammlungsort anwesend sein (§ 118a Abs. 2 S. 1 AktG). Obgleich es sich hierbei lediglich um eine Soll-Vorschrift handelt, wird der Vorstand nur bei gewichtigen persönlichen Hinderungsgründen – in der Praxis wohl nur Krankheit oder familiäre Notfälle – der Versammlung fernbleiben dürfen.
  • Gleiches gilt für die Mitglieder des Aufsichtsrats, wobei die Anforderungen an die Hinderungsgründe weniger streng sind. Hierfür genügt beispielsweise eine Verhinderung wegen dringender Angelegenheiten in der beruflichen Haupttätigkeit.
  • Die Satzung kann für den Aufsichtsrat vorsehen, dass die Mitglieder „in bestimmten Fällen“ per Bild- und Tonübertragung an der Hauptversammlung teilnehmen können (§ 118a Abs. 2 S. 2, § 118 Abs. 3 S. 2 AktG). Mit Blick auf die virtuelle Hauptversammlung empfehlt es sich, die Satzung so zu ergänzen, dass auch die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung einen „bestimmten Fall“ darstellt, in dem eine Zuschaltung der Aufsichtsratsmitglieder durch Bild- und Tonübertragung erfolgen kann. Eine entsprechende Klausel könnte wie folgt lauten:

    „Die Teilnahme von Mitgliedern des Aufsichtsrats an der Hauptversammlung darf in Abstimmung mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden im Wege der Bild- und Tonübertragung erfolgen, wenn das betreffende Aufsichtsratsmitglied an der physischen Teilnahme am Ort der Hauptversammlung verhindert ist, wenn das Aufsichtsratsmitglied seinen Wohnsitz im Ausland hat oder eine Anwesenheit am Ort der Hauptversammlung mit einer unangemessen langen Reisedauer verbunden wäre oder wenn die Hauptversammlung als virtuelle Hauptversammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten am Ort der Hauptversammlung abgehalten wird.
  • Liegt bei einem Aufsichtsratsmitglied ein Verhinderungsgrund vor, der eine Abwesenheit am Versammlungsort rechtfertigt, so darf die Teilnahme dieses Aufsichtsratsmitglieds an der Hauptversammlung im Wege der Bild- und Tonübertragung auch ohne eine solche Satzungsklausel erfolgen.

3. STIMMRECHTSAUSÜBUNG

Die Stimmrechtsausübung ist bei der vHV im Wege elektronischer Kommunikation, namentlich über elektronische Teilnahme (praktisch selten) oder elektronische Briefwahl sowie über Vollmachtserteilung zu ermöglichen (§ 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 2).

Praxishinweis

  • Die Stimmabgabe muss bis zum Zeitpunkt der Schließung der Abstimmung ermöglicht werden. Daher sollte das Aktionärsportal kurz vor Beginn der Abstimmung für Bevollmächtigungen und Weisungen geschlossen werden, damit die Bevollmächtigungen und Weisungen noch rechtzeitig umgesetzt werden können.

4. ANTRÄGE UND WAHLVORSCHLÄGE

Den elektronisch zur vHV zugeschalteten Aktionären wird durch die neuen Regelungen das Recht eingeräumt, Anträge (auch Geschäftsordnungsanträge sowie Sachanträge) und Wahlvorschläge im Wege der Videokommunikation während der Versammlung zu stellen (§ 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AktG).

Im Vorfeld der Hauptversammlung eingereichte und zugänglich zu machende Gegenanträge und Wahlvorschläge von ordnungsgemäß legitimierten Aktionären werden nach der sog. Fiktionslösung weiterhin so behandelt, als wären sie in der Hauptversammlung gestellt (§ 126 Abs. 4 S. 1 AktG).

Praxishinweis

  • Auch die Abwahl des Versammlungsleiters kann in der Hauptversammlung als Geschäftsordnungsantrag beantragt werden. Bei absehbar schwierigen Versammlungen ist es daher empfehlenswert, entweder von Beginn an einen neutralen Versammlungsleiter zu bestimmen oder einen Alternativkandidaten am Ort der Versammlung verfügbar zu haben.
  • Sofern die Willensbildung und Stimmabgabe eines Großteils der Aktionäre bereits im Vorfeld der Versammlung erfolgt (typischerweise bei Investmentfonds), könnten reine Zufallsmehrheiten über erst während der Versammlung gestellte (Gegen-)Anträge entscheiden. Es ist daher zu empfehlen, im Vollmachtsformular zur Stimmabgabe geeignete Festlegungen vorzusehen.

5. AUSKUNFTSRECHT

Den Aktionären ist bei der vHV ein vollumfängliches Auskunftsrecht nach § 131 AktG im Wege der elektronischen Kommunikation einzuräumen (§§ 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 4, 131 AktG).

Bei der Ausgestaltung des Auskunftsrechts räumt der Gesetzgeber zwei unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten ein:

(Vorzugswürdige) Grundform: Fragen ausschließlich in der HV

Die Angleichung des Auskunftsrechts an dasjenige in der Präsenzversammlung erfolgt in der Grundform dadurch, dass das Auskunftsrecht nur in der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation ausgeübt werden kann. Hierbei kann der Versammlungsleiter festlegen, dass das Auskunftsrecht ausschließlich im Wege der Videokommunikation und nicht parallel auch über die sonstigen elektronischen Kommunikationskanäle (typischerweise ein Textfeld im Aktionärsportal, sonstige Chat-Funktionen oder E-Mail) ausgeübt werden kann (§ 131 Abs. 1f AktG). Während der Versammlung sind in diesem Fall Beschränkungen des Fragerechts (z. B. Redezeit, Schließung der Rednerliste) ebenso durchsetzbar wie in der Präsenzversammlung.

Praxishinweis

  • Die Möglichkeit, Fragen auch ohne Videokommunikation in bloßer Textform einreichen zu können, birgt ein Missbrauchspotential: überbordende Fragenkataloge könnten so leicht im Wege von copy & paste kurz vor Ende der Generaldebatte eingereicht werden. Das Recht des Versammlungsleiters, auch hier eine zeitliche Beschränkung des Auskunftsrechts durchzusetzen, wäre mit Rechtsrisiken verbunden. Einen textlichen Fragenkatalog zu übermitteln, dauert nur wenige Sekunden, wohingegen die Fragenbeantwortung mehr Zeit in Anspruch nehmen würde, sodass im Grunde keine zeitliche Beschränkung des Auskunftsrechts erfolgen würde. Die Einreichung von Fragen via Videokommunikation ist dagegen persönlich und aufwendiger, was förderlich für Art und Umfang der eingereichten Fragen und die Kommunikation mit den Aktionären sein kann. Auch ist bei der Videokommunikation deutlich besser absehbar, wie viel Zeit für die Fragenbeantwortung notwendig ist, da nur durch den jeweils zugeschalteten Aktionär Fragen eingereicht werden können.
  • Das parallele Zulassen von Fragen im Wege der Videokommunikation und sonstiger Kommunikation erhöht zudem die Komplexität des Ablaufs. Es wird daher erwartet, dass der Versammlungsleiter meist von dem Recht Gebrauch macht, die Videokommunikation als einzigen Kanal für das Auskunftsrecht festzulegen.
  • Es bietet sich in diesem Fall an, die beabsichtigte Festlegung der Videokommunikation bereits in der Einberufung anzukündigen:

    „Es ist geplant, dass der Versammlungsleiter festlegt, dass solche Fragen in der virtuellen Hauptversammlung nur im Wege der Videokommunikation gestellt werden können.“

Alternative: Pflicht zur Vorabeinreichung von Fragen mit Nachfragen in der HV

Alternativ hat der Vorstand die Möglichkeit, festzulegen, dass Fragen der Aktionäre bis spätestens drei (3) Tage vor der Hauptversammlung im Wege der elektronischen Kommunikation einzureichen sind. Dabei kann der Umfang der Fragen in der Einberufung „angemessen“ sowie auf ordnungsgemäß angemeldete Aktionäre beschränkt werden.

Wählt der Vorstand diesen Weg, sind die eingereichten Fragen allen Aktionären spätestens bei Ablauf der Einreichungsfrist zugänglich zu machen.

Bis spätestens einen (1) Tag vor der Versammlung, sind den Aktionäre die entsprechenden Antworten zu den eingereichten Fragen zugänglich zu machen. Die Gesellschaft sollte darauf achten, die hierfür erforderlichen Kapazitäten bereitzuhalten. Für das Zugänglichmachen der Fragen und Antworten macht das Gesetz keine Vorgaben, sodass ein Zugänglichmachen über das Aktionärsportal naheliegt. Börsennotierte Gesellschaften müssen Fragen und Antworten jedoch zwingend über die Internetseite der Gesellschaft zugänglich machen.

Damit die Aktionäre eine bessere Grundlage für ihre Fragen haben, hat die Gesellschaft ebenso die Vorstandsrede sieben (7) Tage vor der HV zu veröffentlichen.

In der Hauptversammlung haben die Aktionäre dann ein Nachfragerecht zu allen vor und in der Versammlung gegebenen Antworten (sog. „Über-Kreuz-Fragen“) sowie ein Fragerecht zu neuen Sachverhalten, d. h. zu Sachverhalten, die erst nach Ablauf der Frist zur Frageneinreichung entstanden sind.

Praxishinweis

  • Im Ergebnis bietet die Vorgabe zur Vorabeinreichung von Fragen wenige Vorteile für die Gesellschaften. Es überwiegen die praktischen Umsetzungsschwierigkeiten.
  • Durch die Vorverlagerung der Fragen kann die gewünschte Entlastung der Hauptversammlung in der Praxis wohl nicht erreicht werden, da durch das Nachfragerecht und (Neu-)Fragerecht faktisch eine Verdopplung des Auskunftsrechts eintritt. Eine präzise Abgrenzung von zulässigen und unzulässigen Nachfragen ist kaum rechtssicher möglich. Angesichts der Anfechtungsrisiken wäre Zurückhaltung bei der Entscheidung über eine Nichtbeantwortung von Fragen geboten. Zudem wären eine fortlaufende Prüfung und ggf. Aktualisierung der bereits gegebenen Antworten erforderlich.
  • Zusätzlich besteht die Gefahr, dass die Gesellschaft die Kommunikationshoheit verliert, wenn in den vorab eingereichten Fragen bereits eine bestimmte Schwerpunktsetzung erfolgt, noch bevor die Gesellschaft im Rahmen der mündlichen Vorstandsrede die Gelegenheit hatte, eine eigene Schwerpunktsetzung vorzunehmen.
  • Auch die Verpflichtung, im Vorfeld eingereichte Fragen zu beantworten, bereitet Schwierigkeiten. Zum einen sind, anders als in der Hauptversammlung, Rückfragen des Vorstands bei etwaigen unklaren Fragenformulierungen nicht möglich. Es bedarf daher eines größeren Aufwands bei der Beantwortung. Zum anderen erfolgt die schriftliche Beantwortung nicht allein im Rahmen der Bereichsöffentlichkeit der Hauptversammlung, sondern für alle (auch die Presse) einsehbar auf der eigenen Internetseite. Beides steht unter der Herausforderung, dass bei Einreichung einer Vielzahl von Fragen im spätestmöglichen Moment (und genau dies war in den letzten Jahren verbreitet zu beobachten) lediglich ein Tag für die Beantwortung verbleibt.

6. STELLUNGNAHMEN VON AKTIONÄREN

Aktionäre haben bei der vHV die Möglichkeit, im Wege elektronischer Kommunikation bis fünf (5) Tage vor der Versammlung Stellungnahmen zur Tagesordnung zu übermitteln (§ 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 6 AktG sowie § 130a Abs. 1 bis 3 AktG). Diese sind dann allen anderen Aktionären bis spätestens vier (4) Tage vor der Hauptversammlung zugänglich zu machen. Wie bei Fragen und Antworten macht das Gesetz grundsätzlich keine Vorgabe über die Art des Zugänglichmachens. Börsennotierte Gesellschaften müssen jedoch Stellungnahmen wiederum über ihre Internetseite veröffentlichen, sofern sich die Gesellschaft in der Einberufung nicht vorbehält, Stellungnahmen nur ordnungsgemäß angemeldeten Aktionären zur Verfügung zu stellen (z. B. über das zugangsbeschränkte Aktionärsportal).

Der Gesellschaft ist es freigestellt, welches Format sie für Stellungnahmen vorgibt. Textform, Video oder auch mehrere unterschiedliche Formate können parallel vorgesehen werden.

In der Einberufung kann der Umfang von Stellungnahmen angemessen beschränkt werden (§ 130a Abs. 1 S. 2 AktG). Stellungnahmen, durch deren Veröffentlichung sich der Vorstand strafbar machen würde, die in wesentlichen Punkten offensichtlich falsche oder irreführende Angaben oder Beleidigungen enthalten, oder die von Aktionären abgegeben werden, die bereits deutlich zu erkennen geben, sich nicht zu der Versammlung elektronisch zuschalten lassen zu wollen, müssen nicht zugänglich gemacht werden.

Praxishinweis

  • Sofern der unzulässige Teil einer Stellungnahme ohne Schwierigkeiten gekürzt werden kann, bleibt die Gesellschaft nach entsprechender Kürzung zur Veröffentlichung verpflichtet.
  • Die Frist zur notwendigen Sichtung von Stellungnahmen kann bei später Einreichung lediglich einen Tag betragen, unabhängig von Wochenenden oder Feiertagen. Dies sollte bei der Festlegung des konkreten Versammlungstermins berücksichtigt werden.
  • Hinsichtlich der Möglichkeit zur Beschränkung kommt für Stellungnahmen in Textform eine Beschränkung der Zeichenzahl und für Videobeiträge eine bestimmte Dauer in Minuten in Betracht. Hier sollte derzeit noch die sich entwickelnde Best Practice beobachtet werden, da zum Zeitpunkt der Einberufung kaum abzusehen sein wird, wie viele Stellungnahmen eingereicht werden und welcher Aufwand somit für eine ordnungsgemäße Sichtung erforderlich und damit auch gerechtfertigt sein wird.

7. REDERECHT

Die elektronisch zugeschalteten Aktionäre haben in der vHV ein Rederecht, welches sie im Wege der Videokommunikation wahrnehmen können (§ 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 7, § 130a Abs. 5 AktG). Hierfür ist das von der Gesellschaft vorgegebene Format der Videokommunikation zu verwenden. Das Rederecht soll die Generaldebatte der Präsenz-Versammlung nachbilden und erfordert daher eine Zwei-Wege-Direktverbindung.

Im Rahmen des Redebeitrags dürfen auch (Gegen-)Anträge und Wahlvorschläge vorgebracht sowie (Nach-)Fragen gestellt werden. Dies gilt auch dann, wenn hierfür eigentlich ein anderer Kommunikationskanal vorgesehen ist (beispielsweise Textfeld im Aktionärsportal).

Eine zeitlich angemessene Beschränkung des Rederechts kann – wie auch bei der Präsenzveranstaltung – durch den Versammlungsleiter vorgesehen werden. Darüber hinaus darf sich die Gesellschaft in der Einberufung vorbehalten, die Funktionsfähigkeit der Videokommunikation vorab zu prüfen und den Aktionär zurückzuweisen, wenn diese nicht sichergestellt ist (§ 130a Abs. 6 AktG). Dies gilt analog für das Auskunftsrecht, sofern auch hier die Videokommunikation vorgegeben wurde. Fällt der Funktionstest negativ aus, kann die Wortmeldung des betroffenen Aktionärs zurückgewiesen werden. Der Gesellschaft bleibt es aber unbenommen, eine beispielsweise telefonische Übertragung anzubieten. Fällt jedoch der Funktionstest auch bei anderen Aktionären negativ aus, muss auch diesen Aktionären wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes dieselbe telefonische Ausweichmöglichkeit angeboten werden.

Praxishinweis

  • Für die Angleichung an die Präsenz-HV wird in der Praxis die Einrichtung eines virtuellen Wortmeldetisches zur Erfassung der Rednerliste erforderlich sein. Wie in der Präsenz-HV kann der Versammlungsleiter die Reihenfolge der Redner festlegen.
  • Das Gesetz macht keine Vorgaben für die Umsetzung der Prüfung der Funktionsfähigkeit. Für die Praxis ist zu erwarten, dass die Prüfung über die Zusendung eines Weblinks zu einem Test-Warteraum erfolgt. Die Zurückweisung von Wortmeldungen wegen Funktionsstörungen sollte zur Vermeidung von Anfechtungsrisiken sorgfältig dokumentiert werden.

8. WIDERSPRÜCHE

Die elektronisch der vHV zugeschalteten Aktionäre haben das Recht, Widerspruch gegen Hauptversammlungsbeschlüsse im Wege der elektronischen Kommunikation einzulegen (§ 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 8 AktG). Es ist nicht erforderlich, dass der betreffende Aktionär zuvor sein Stimmrecht ausübt, sodass auch Vorzugsaktionäre das Recht haben, Widerspruch einzulegen.

Praxishinweis

  • Als vorzugswürdige Lösung für die technische Umsetzung der Widerspruchsmöglichkeit erscheint ein Texteingabefeld (z. B. im Aktionärsportal) oder eine E-Mail-Adresse, unter der die Erklärung des Aktionärs an den Versammlungsleiter und Notar weitergeleitet wird. Ein bloßer Widerspruchs-Button als One-Click-Lösung birgt Rechtsrisiken, sofern der Notar die Einlegung des Widerspruchs nicht selbst wahrnehmen kann.

9. TEILNEHMERVERZEICHNIS

In das Teilnehmerverzeichnis der vHV sind die elektronisch zugeschalteten Aktionäre bzw. deren Vertreter sowie die Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft aufzunehmen (§ 129 Abs. 1 S. 3 AktG). Das Verzeichnis ist allen zugeschalteten Aktionären bzw. deren Vertretern noch vor der ersten Abstimmung, z. B. über einen Link oder über das Aktionärsportal zugänglich zu machen (§ 129 Abs. 4 AktG).

Praxishinweis

  • Es kann zu Doppelungen kommen, wenn ein Aktionär zwar den Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft bevollmächtigt, sich dann aber selbst zur virtuellen Hauptversammlung zuschaltet und somit ebenfalls ins Teilnehmerverzeichnis aufzunehmen ist. Das lässt sich ggf. durch geeignete Darstellungen entschärfen.

II. KRITERIEN FÜR UND GEGEN EINE VIRTUELLE HAUPTVERSAMMLUNG

Die Gründe, die für oder gegen die Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung sprechen, können sich von Gesellschaft zu Gesellschaft stark unterscheiden. Dabei sind die Größe der Gesellschaft und ihre Aktionärsstruktur von besonderem Gewicht. Aber auch Aspekte wie das Unternehmensprofil und eine ggf. besondere Offenheit gegenüber Innovationen (gerade für Gesellschaften im Technologiesektor) könnten eine entsprechende Aktionärserwartung hervorrufen und für die virtuelle Hauptversammlung sprechen.

 

PRO

+ / -

CONTRA

  • Reichweite
  • Innovation
  • Aufwand
  • Notwendigkeit hoher Digitalkompetenz
  • Nachhaltigkeit
  • Versammlungs-ver­lauf
  • Eingeschränkte (informelle) Kommunikations­möglichkeiten mit Aktionären

Die elektronische Zuschaltung zur virtuellen Hauptversammlung ist für Aktionäre zunächst einmal weniger aufwendig als eine physische Teilnahme am Versammlungsort, da eine etwaige Anreise und ggf. Übernachtungskosten entfallen. In der Praxis ist daher mit mehr Teilnehmern und einer höheren Beteiligung von sachinteressierten Aktionären zu rechnen, insbesondere auch im Hinblick auf ein mögliches internationales Aktionariat. Dies war schon in den Pandemiejahren zu beobachten. Unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten ist relevant, dass bei der virtuellen Hauptversammlung dadurch auch weniger Treibhausgase anfallen.

Die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung erfordert allerdings ein höheres Maß an Digitalkompetenz auf Seiten der Gesellschaft und insbesondere des Versammlungsleiters. Dieser muss zusätzlich zu den sonst üblichen Leitungsfunktionen auch mit der Aktionärskommunikation im elektronischen Wege souverän umgehen können.

Unter dem Kostenaspekt entfallen die Kosten für die Anmietung eines Veranstaltungsortes, die Technik sowie die Aktionärsverpflegung. Dagegen dürften die Kosten für die Bereitstellung des gegenüber den Vorjahren deutlich komplexeren Aktionärsportals wohl steigen.

[View source.]

DISCLAIMER: Because of the generality of this update, the information provided herein may not be applicable in all situations and should not be acted upon without specific legal advice based on particular situations.

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