"Wachstumsinitiative" auch für die Arbeitswelt

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Die Bundesregierung hat sich am 5. Juli 2024 unter dem Titel „Wachstumsinitiative – neue wirtschaftliche Dynamik für Deutschland“ auf ein Maßnahmenpaket verständigt, das der deutschen Volkswirtschaft umgehend mehr Dynamik geben soll.


Es handelt sich zunächst um eine Ankündigung. Die Maßnahmen müssen noch im Einzelnen umgesetzt werden. Wir haben die geplanten Maßnahmen für Sie aus arbeitsrechtlicher Sicht analysiert:

Arbeitszeit

Mehrarbeit soll sich lohnen: Mehrarbeitszuschläge sollen steuer- und beitragsfrei sein. Gilt ein Tarifvertrag, so muss solche „Mehrarbeit“ über die tarifliche Wochenarbeitszeit (mind. aber 34 Std.) hinausgehen. Wenn keine tarifliche Regelung gilt und die Arbeitszeit nicht abweichend vereinbart wurde, soll „Mehrarbeit“ erst bei über 40 Stunden/Woche vorliegen.

Anreiz für Aufstockung der Teilzeit: Prämien an Teilzeitbeschäftigte für die Ausweitung der Arbeitszeit sollen steuerlich begünstigt werden. Entsprechende Prämien sind in der Praxis bisher eher unüblich. Es bleibt abzuwarten, ob die Steuerbegünstigung solche Prämien für Unternehmen attraktiver macht und tatsächlich zum Aufbau von Kapazitäten führt.

Abweichung von Tageshöchstarbeitszeit: Auf eine Flexibilisierung des ArbZG warten Unternehmen schon lange. Nun soll zumindest für eine begrenzte Dauer die Möglichkeit geschaffen werden, von der Tageshöchstarbeitszeit (10 Std., vgl. § 3 S. 2 ArbZG) abzuweichen. Die Bundesregierung will damit Erfahrungswerte sammeln. Die Abweichung muss jedoch in einem Tarifvertrag oder, wenn ein Tarifvertrag dies vorsieht, in einer Betriebsvereinbarung geregelt sein. Außerhalb des Anwendungsbereichs von Tarifverträgen besteht diese Möglichkeit nicht. Es ist fraglich, ob die Regelung in der Praxis überhaupt angewandt werden wird und welche Schlüsse die Bundesregierung für die weitere Flexibilisierung des ArbZG ziehen (können) wird.

Vertrauensarbeitszeit: Vertrauensarbeitszeit soll „auch weiterhin zulässig sein“. Ein begrüßenswertes Zitat, aber es bleibt unklar, was das konkret bedeutet. Bekanntlich steht eine Neuregelung zur Arbeitszeiterfassung noch aus. Laut Bundesregierung seien Regelungen zur Arbeitszeiterfassung geplant, aber es könne noch kein Zeitplan aufgestellt werden. Es ist daher sehr unwahrscheinlich, dass noch in dieser Legislaturperiode hierzu ein Gesetz verabschiedet wird.


Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

Es soll eine möglichst bürokratiearme Lösung für (auch telefonische) Krankschreibungen gefunden werden. Während ein Bürokratieabbau natürlich zu begrüßen ist, bleibt zu hoffen, dass damit keine weiteren Missbrauchsmöglichkeiten geschaffen werden. Schließlich genießt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in der Rechtsprechung nach wie vor einen sehr hohen Beweiswert. Fälle missbräuchlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen beschäftigten in letzter Zeit häufig die Gerichte.


Arbeitsaufnahme für Ausländer

Deutsche Unternehmen tun sich weiterhin schwer, Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen. Die Bundesregierung hat erkannt, dass das Fachkräfteeinwanderungsgesetz kaum zu einer Verbesserung geführt hat. Daher soll die Einwanderung von Fach- und Arbeitskräften weiter vereinfacht werden:

Steuerliche Anreize für Arbeitsaufnahme: Für neu zugewanderte Fachkräfte sollen in den ersten drei Jahren 30, 20 bzw. 10 Prozent vom Bruttolohn steuerfrei gestellt werden. Für diese Freistellung soll eine Unter- und Obergrenze des Bruttolohns definiert werden.

Schnelleres Verfahren für Beschäftigungserlaubnis: Die Erlaubnis soll als erteilt gelten, wenn die Ausländerbehörde dem Antragsteller nicht innerhalb von zwei Wochen nach Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit etwas Abweichendes mitteilt.

Erleichterter Arbeitsmarktzugang: Die Regelung zum erleichterten Arbeitsmarktzugang (§ 26 Abs. 2 BeschV) soll auf weitere Staaten ausgeweitet werden. Zudem soll das Kontingent von derzeit 50.000 Zustimmungen pro Jahr erhöht werden.

Einwanderung von Zeitarbeitern: Zeitarbeiter aus dem Ausland sollen sofort beschäftigt werden dürfen, wenn Equal Pay befolgt und eine Beschäftigungsdauer von mindestens zwölf Monaten vereinbart wird.

Verbesserung des Beratungsangebots: Die Funktionsfähigkeit und Erreichbarkeit der öffentlichen Dienste soll verbessert werden (z.B. Portal „Make it in Germany“ und Hotline „Arbeit und Leben in Deutschland“).


Tariftreue für die Vergabe öffentlicher Aufträge

Die Tarifbindung soll gestärkt werden, indem die Anwendung von Tarifverträgen zur Bedingung für die Vergabe öffentlicher Ausschreibungen gemacht werden soll. Das Bundestariftreuegesetz liegt seit Mai 2023 im Entwurf vor und sollte eigentlich schon im Januar 2024 in Kraft treten.


Datenschutz

Der Schwellenwert für die Bestellung eines Datenschutzbeauftragten soll von 20 auf 50 Mitarbeitende erhöht werden. Zudem soll es weitere Maßnahmen geben, um den bürokratischen Aufwand der Unternehmen für den Datenschutz zu senken.


Betriebliche Altersversorgung

Die betriebliche Altersversorgung (bAV) soll überarbeitet werden, sodass künftig mehr Unternehmen eine bAV anbieten und insbesondere Beschäftigte mit geringeren Einkommen gefördert werden. Dafür liegt zwischenzeitlich ein Referentenentwurf vor. Darin werden u.a. die Bindung der Beitragszusage ohne Garantien an Tarifverträge gelockert und die Beträge zur steuerlichen Förderung der betrieblichen Altersversorgung von Geringverdienenden erhöht. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Flexibilisierung der Kapitalanlage in der betrieblichen Altersversorgung.


Kündigungsschutz bei Risikoträgern im Finanzsektor

Die aktuellen Regelungen zum Kündigungsschutz für Risikoträger in systemrelevanten Banken (§ 25a Abs. 5a KWG) sollen auch auf nicht-systemrelevante Banken, Versicherungen, Wertpapierinstitute und Kapitalanlagegesellschaften ausgeweitet werden.


Weiterbeschäftigung im Rentenalter

Erweiterte Befristungsmöglichkeit: Mitarbeitende im Rentenalter sollen vermehrt in Beschäftigung gehalten werden. Die Befristung ihrer Arbeitsverträge soll sachgrundlos für eine Gesamtdauer von acht Jahren und maximal zwölf Befristungen erlaubt werden. Derzeit sehen viele Arbeitsverträge vor, dass sie mit Erreichen der Regelaltersgrenze enden. Mit der erweiterten Befristungsmöglichkeit könnten sich Unternehmen leichter tun, vermehrt auch Mitarbeitende im Rentenalter (weiter) zu beschäftigen.


Finanzieller Anreiz für Beschäftigung im Rentenalter: Der Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Arbeitslosenversicherung soll nicht an die Einzugsstellen abgeführt, sondern an die Mitarbeitenden ausgezahlt werden. Gleiches soll für den Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung gelten, wenn Mitarbeitende keine freiwilligen Beiträge zahlen möchten.


Fazit

Auf Worte müssen nun Taten folgen. Die Maßnahmen sind teilweise ambitioniert und es ist unklar, zu welchem Konsens man im Bundestag gelangt. Daher ist nicht unbedingt zu erwarten, dass viele dieser Maßnahmen umgesetzt werden.

Wir erwarten durch diese Maßnahmen keine große Veränderung der Arbeitswelt oder beschleunigtes Wachstum der Unternehmen. So sieht es auch der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI). Hoffnung gibt es aber immerhin für den Abbau von Bürokratie und die (noch weiter zu denkende) Flexibilisierung von Arbeitszeit. Hier sollte die Bundesregierung weiter und zügig nachlegen.

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